CSD 2016
9. – 10. Juli: Mein Herz schlägt gegen Rechts.
Queere Emanzipation gegen den Rechtsruck verteidigen.
Die Zeiten, in denen sich die „Homobewegung“ auf der Welle des bürgerlichen Fortschritts immer weiter Richtung rechtliche Gleichstellung und Antidiskriminierung tragen lassen konnte, sind vorbei. Seit mehreren Monaten dominieren rechte Kräfte die politische Bühne, welche immer mehr Zulauf bekommen. Überall in Europa sind nationalistische und völkische Parteien und Bewegungen auf dem Vormarsch und immer mehr Staaten fallen in Nationalismus zurück, um sich der Flüchtlingsaufnahme zu verweigern. In Deutschland, wo jeden Tag wieder Flüchtlingsheime brennen, gehen jede Woche sogenannte „besorgte Bürger“ – Völkische, Autoritäre, Nationale und Faschist*innen aus allen sozialen Schichten – bei Pegida und dessen Ablegern auf die Straße. „Wir sind das Volk“ rufen sie und fordern die nationale Abschottung des Vaterlandes gegen Asylsuchende und Migrant*innen. Ihr institutionalisiertes Sprachrohr ist die rechte Partei „Alternative für Deutschland“, die sich im Zuge der Flüchtlingskrise von einer unbeachteten Rechtsaußenpartei zur „Stimme des Volkes“ erheben konnte. Ihren Zuspruch finden AfD und Pegida schon lange nicht mehr nur im rechtsextremen Milieu. Immer größere Teile der ehemals bürgerlichen Mitte sympathisieren unverhohlen mit ihren rassistischen Ressentiments gegen Geflüchtete und Migrant*innen. Die etablierten Parteien sehen dem Erstarken der neuen Rechtsaußenkraft unbeholfen zu und stärken sie sogar, indem sie ihre Positionen Schritt für Schritt übernehmen, wie es die ganz große Koalition der Asylrechtsverschärfer, bestehend aus CSU, CDU, SPD und den Grünen, immer wieder demonstriert. Der Ruf nach einer Abkehr von internationaler politischer Zusammenarbeit und der Europäischen Union, sowie nach einem Rückzug in die durch Grenzanlagen abgeschottete Nation wird immer lauter. Die gewaltvolle Kehrseite dieses gesellschaftlichen Rechtsrucks sind die täglichen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, die pogromartigen Szenen in Clausnitz, Bautzen und Heidenau und Angriffe auf Menschen, die nicht „deutsch“ genug erscheinen.
Diese Entwicklungen führen nicht nur zu einer immer offeneren Ausländer*innenfeindlichkeit, sondern stellen eine Gefahr für alle gesellschaftlichen Minderheiten und deren Emanzipationserfolge dar, da sich das Verständnis von Demokratie drastisch verändert hat. Liberale Auffassungen einer Demokratie, die auf Bürger*innen als vernunftbegabten Individuen beruht, die fest mit persönlichen Freiheiten und dem Schutz von Minderheiten verbunden ist und die sich in globalen Zusammenhängen und einem freien Europa eingebunden sieht, weichen immer mehr der Vorstellung einer deutschen Volksgemeinschaft. An die Stelle einer pluralen Gesellschaft tritt die erdrückende Gemeinschaft, in der nur akzeptiert wird, wer sich ihrem Konformitätszwang beugt. Der Hass der Völkischen auf die liberale Moderne äußert sich im Antisemitismus, Antifeminismus, sowie in der Ablehnung von LSBTTIQ*.
Das zeigt sich auch im Programm der AfD, die emanzipierte Frauen wieder in das traditionelle Korsett aus Haus, Herd und Kindern zurückdrängen möchte und Gleichstellungsmaßnahmen wie das sogenannte „Gender Mainstreaming“ und Frauenquoten vehement ablehnt. Wider alle Erkenntnisse moderner Wissenschaft behauptet die AfD, gleichgeschlechtliche Paare oder alleinerziehende Eltern seien nicht in der Lage, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Die AfD, bekannt für Parolen wie „Lügenpresse“ und „Umerziehung“, strebt die Kontrolle der Medien, der Pädagogik, der Wissenschaft und der Kunst an, um ihre ideologischen Vorstellungen von Heteronormativität, Frauenunterdrückung und Vaterlandsliebe zu verbreiten. Im Zuge dessen sollen etwa Schulbücher, in denen neben klassischen heterosexuellen Familienkonstellationen auch die Lebensrealität von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten oder Regenbogenfamilien dargestellt wird, verboten werden. Queere Menschen, die ehrenamtlich an Schulen über sexuelle Vielfalt aufklären, werden zu Lobbygruppen dämonisiert, vor denen die Kinder zu schützen seien. Diese Forderungen sind von der Repression autoritärer Staaten gegen sogenannte „Homo-Propaganda“, wie in Russland, nicht mehr weit entfernt. Auch die antiintellektuelle Abwehrhaltung gegen feministische Wissenschaft zeigt, dass die AfD und ihre Anhänger*innen die Gesellschaft in vormoderne Verhältnisse zurückführen wollen, in denen das kritische Hinterfragen gesellschaftlicher Machtverhältnisse nicht mehr möglich ist.
Parallel zur völkischen Regression wird die liberale Demokratie auch von religiösen Ideologien angegriffen. Unter den Teilnehmenden der „Demo für alle“, die seit über zwei Jahren in Stuttgart gegen die Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schulen, gegen die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare und andere Antidiskriminierungsmaßnahmen protestiert, finden sich zwischen AfD-Anhänger*innen und Neonazis auch christliche Fundamentalist*innen.
Auch der sich zunehmend radikalisierende politische Islamismus greift in verschiedenem Ausmaß um sich. Der türkische Ministerpräsident Erdogan baut die einstige Demokratie zunehmend in einen autoritären Gottesstaat um. Nicht nur die Pressefreiheit wurde unter Erdogan extrem eingeschränkt, auch das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit werden radikal angegriffen. So wurde beispielsweise letztes Jahr der Christopher-Street-Day in Istanbul und dieses Jahr eine feministische Demonstration gewaltsam unterbunden. Weiterhin führt Erdogan einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei und kriminalisiert die Partei HDP, die eine wichtige politische Kraft für Säkularismus und die Gleichstellung von Frauen und sexuellen Minderheiten in der Region ist. In den islamischen Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas werden queere Minderheiten verfolgt und oftmals warten harte Gefängnisstrafen oder sogar der Tod auf sie. Aus den Gebieten, die unter der Kontrolle der Terrororganisation „Islamischer Staat“ stehen, erreichen uns immer wieder schreckliche Bilder von Hinrichtungen vermeintlich Homosexueller. Im Kampf für Emanzipation und gegen die Barbarei islamistischer Terrororganisationen und Regimes gilt allen von homo- und trans*feindlicher Gewalt und Verfolgung betroffenen Menschen und Aktivist*innen unsere Solidarität.
Völkischer Nationalismus und religiöser Fanatismus haben vieles gemeinsam. In beiden Weltbildern soll die liberale Gesellschaft durch eine Volks- bzw. Glaubensgemeinschaft ersetzt werden, in welchen Individualismus, persönliche Freiheit und selbstbestimmtes Leben unmöglich sind. Seit die Pegidisten sich gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ positioniert haben, um ihren Rassismus gegen muslimische Migrant*innen zu begründen, tun sich Liberale und Linke schwer, emanzipatorische Kritik an religiösen Ideologien zu äußern. Für uns ist klar: Sexismus, Homo- und Trans*feindlichkeit gibt es in allen Gesellschaften, gerade auch in der deutschen. Dennoch muss Religion dort, wo sie Individuen, Organisationen oder Staaten als Legitimation für homo- und trans*feindliche Aussagen oder Taten dient, zum Gegenstand unserer Kritik werden. Gleichzeitig wollen wir uns nicht mit der rassistischen Feindschaft gegen Muslim*innen gemein machen. Die Offenheit für Migrant*innen und das bedingungslose Menschenrecht auf Asyl sind fester Bestandteil einer liberalen Gesellschaft, in der auch die Emanzipation queerer Menschen möglich ist. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die aufgrund von Verfolgung, Bürgerkrieg, Diskriminierung oder Armut nach Europa fliehen. Es ist die Aufgabe dieser Gesellschaft, Geflüchtete willkommen zu heißen, zu versorgen und ihnen Integration zu ermöglichen.
Auch in der queeren Szene macht sich der gesellschaftliche Rechtsruck bemerkbar. Viele Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und Inter*-Personen unterstützen rechte Parteien und Bewegungen und positionieren sich wahlweise rassistisch, sexistisch, trans*feindlich oder auf ähnliche Art und Weise antiemanzipatorisch. Die Gründe dafür sind verschieden: Mal ist es die mangelnde Reflexion eigener Vorurteile oder Ansichten, mal ist es eine politische Strategie um die eigene gesellschaftliche Anerkennung auf dem Rücken anderer Minderheiten zu erreichen, oft ist es beides. Gefährlich ist das allerdings immer, denn ein Bündnis mit regressiven, antiemanzipatorischen politischen Kräften und Ideen einzugehen, gefährdet mittelfristig die eigenen Freiheiten und die Freiheiten aller. Der CSD Freiburg positioniert sich gegen jeden Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Homophobie hat in Deutschland eine lange Tradition: Im NS-Faschismus ließen die Deutschen Homosexuelle verfolgen. Hunderttausende wurden registriert, viele wurden verurteilt, inhaftiert oder in den Konzentrationslagern ermordet. Die Homosexuellen-Verfolgung im Dritten Reich wurde von der bundesrepublikanischen Gesellschaft als rechtens anerkannt und fortgesetzt. In der Aufarbeitung der NS-Verbrechen, die im Nachkriegsdeutschland zur neuen Nationalideologie wurde, wurden Homosexuelle als Opfergruppe des NS systematisch ausgeblendet, zum Schweigen gezwungen und mit Vergessen bestraft. Erst 1994 wurde Homosexualität vollständig entkriminalisiert. Die Opfer des sogenannten „Schwulenparagraphen 175“ wurden bis heute nicht rehabilitiert. Erst im 21. Jahrhundert begann der Weg der rechtlichen Gleichstellung, die bis heute nicht vollständig erreicht ist. Sexuelle und geschlechtliche Minderheiten sind immer noch von verschiedensten staatlichen Benachteiligungen betroffen; gesellschaftliche Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt sind vielerorts Alltag.
Die Freiheiten, die LSBTTIQ* heute genießen, sollten selbstverständlich sein, doch sie sind spät und hart erkämpft worden. Jederzeit können sie zurückgenommen werden, wenn rechte, religiöse und völkische Ideen in der Gesellschaft erstarken. Wir wollen es nicht so weit kommen lassen. Lasst uns die erreichten Teilerfolge queerer Emanzipation und die offene Gesellschaft gegen den völkischen Rollback verteidigen!