Heute Morgen hat der Bundestag mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare einen großen Meilenstein hinsichtlich Gleichstellung und Akzeptanz von LSBTIQA*-Menschen beschlossen. Nach einem jahrzehntelangen Kampf, einer über zwölfjährigen Blockadehaltung der Kanzlerin, schlechtem Bauchgefühl und sechs Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts[1], die der Politik erklären mussten, was der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot bedeutet, ist der heutige Erfolg ein wichtiges Zeichen in Zeiten von erstarkendem Rechtspopulismus und gesellschaftlicher Spaltung. Besonderer Dank gilt daher allen Politiker*innen und allen Aktivist*innen, die trotz dieses holprigen Weges des Kampfes für mehr Akzeptanz und Toleranz nicht müde wurden. Angesichts der Verzögerungs- und Blockadehaltung insb. der CDU/CSU-Fraktion, die eine Abstimmung bis heute verhindern wollte, hätten wir uns die Öffnung der Ehe sicherlich würdevoller, bedeutender und auf menschenrechtlichen Prinzipien aufbauend vorgestellt als auf einen Wortunfall der Kanzlerin und reiner Wahlkampftaktik. Trotz allem ist es für uns ein Tag zur Freude, den wir morgen am CSD in Freiburg gemeinsam feiern werden!
Dabei dürfen wir aber nicht aus den Augen verlieren, dass diese „Ehe für alle“ weder das Ende von Diskriminierung noch des Kampfes für die Rechte von LSBTIQA*-Menschen bedeutet. Auch wenn sich ein Großteil der Deutschen für die Öffnung der Ehe ausgesprochen hat, bezeichnen es 40% als „ekelhaft“, wenn sich gleichgeschlechtliche Paare in der Öffentlichkeit küssen und ein Viertel hält Homosexualität für unmoralisch.[2] Solche Ansichten finden in der Bundesrepublik in den letzten Jahren wieder breitere Zustimmung, nicht nur nachdem auch die AfD sie wieder salonfähig gemacht hat – eine erschreckende Entwicklung. Anstatt die bunte Vielfalt der Gesellschaft zu feiern, scheint nur mehrheitsfähig und akzeptiert zu werden, wenn sich Minderheiten der Norm unterordnen, anpassen und ansonsten möglichst wenig in der Öffentlichkeit auffallen. Deswegen werden wir morgen beim CSD in Freiburg für Vielfalt, Akzeptanz und Sichtbarkeit auf die Straßen gehen.
Desweiteren ist die „Ehe für alle“ keine „Ehe für alle“, da sie weiterhin Menschen diskriminiert und essentielle Fragen offenlässt, zum Beispiel für Menschen mit anderem oder ohne Personenstand, Menschen die in familienähnlichen Konstellationen zusammenleben sowie Poly*-Menschen. Sofern das Gesetz vor allem schwule, lesbische und bisexuelle Menschen bedenkt, gehören zur vollständigen Gleichstellung auch Trans*, Poly*, Inter*, Asexuelle und queere Menschen. Wichtige, längst überfällige Reformen in diesen Bereichen dürfen wir angesichts des heutigen Freudentags nicht vergessen. Es zeigt vielmehr, dass Aktivismus nach heute nicht überflüssig ist und was wir in Deutschland noch zu erkämpfen haben. Um für die Rechte ALLER LSBTIQA*-Menschen zu kämpfen, werden wir deshalb morgen beim CSD in Freiburg auf die Straßen gehen.
Wir wünschen uns im Übrigen eine generelle Debatte über Ehe- und Familienkonzepte, sodass eine Verantwortungsgemeinschaft auch neben der traditionellen Ehe zugelassen wird. Wir hoffen, dass der heutige Tag auch Anstoß ist, dem Ehebegriff einen vielfältigeren Familienbegriff hinzuzufügen und den heutigen familiären Realitäten von Alleinerziehenden über Patchwork- bis hin zu Regenbogenfamilien gerecht zu werden. Damit jede Form von Familie und gegenseitiger Fürsorge anerkannt, staatlich geschützt und gewürdigt wird, auch dafür gehen wir morgen beim CSD in Freiburg auf die Straßen.
Eure CSD Orga
Weiterführende Informationen zu rechtlichen Belangen, insbesondere zu Scheidungsfragen hat der Berufsverband der Rechtsjournalisten e.V. zusammengestellt, unter folgendem Link sind diese einsehbar: https://www.scheidung.org/gleichgeschlechtliche-ehe/
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[1] zur Hinterbliebenenversorgung am 07.07.2009 (BVerfGE 124, 199), Erbschafts- und Schenkungsrecht am 21.07.2010 (BVerfGE 126, 400), beamtenrechtlicher Familienzuschlag am 19.06.2012 (BVerfGE 131, 239), Grunderwerbssteuer am 18.07.2012 (BVerfGE 132, 179), Sukzessivadoption am 19.02.2013 (BVerfGE 133, 59), Ehegattensplitting am 07.05.2013 (BVerfGE 133, 377); siehe auch: Einstweilige Anordnung gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz (1 BvQ 23/01 vom 09.08.2001)
[2] https://www.boell.de/sites/default/files/buch_mitte_studie_uni_leipzig_2016.pdf; http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Aktuelles/DE/2017/20170112_Umfrage_LSB.html
Unsere Forderungen 2017: https://freiburg-pride.de/csd-2017/forderungen-2017/
Foto: NYC Marriage Equality by La Negra, 24.07.2011